Crazy Chicken
Verrückt für’s Frühstücksei

Hier könne man auf jeden Fall das Tiramisu bestellen, sagt der Mann am Nebentisch. Die Frage der Eierherkunft werde eh nur hochgespielt, das ganze Federviehthema: völlig überinterpretiert; und Tierschutz sei sowieso seit Ewigkeiten Staatsziel.
Lauwarmes Beigemurmel der Tischgenossen bei dem „überinterpretiert“ und vor dem Wink nach dem Ober ein „Wir sind da ja ganz unkompliziert”.
Müssen diese Leute auch sein.
Denn wer das „Staatsziel Tierschutz“ ernst nimmt, überlässt entweder die Ziellinie gerne (komplizierteren) Nachfolgegenerationen, oder hat einfach unkompliziert sein Hirn geschreddert.
Versuch mal, ein „Staatsziel Tierschutz” einzuklagen – ist wie Hollywood auf Realitätsnähe festlegen zu wollen. Und angesichts der Tatsache, dass Käfighaltung von Legehennen in Deutschland verboten ist, Käfigeier aber überall in industriellen Teigwaren, Salatsaucen oder Backwaren zu finden sind, kann selbst ein ausgebuffter Philosoph ins Überinterpretieren kommen. Von den 218 verputzten Eiern pro Kopf pro Jahr findet immerhin mehr als die Hälfte über industrielle Fertigprodukte in den bundesbürgerlichen Verdauungstrakt.
Okay, es heißt nicht mehr Käfighaltung, es heißt Haltung in der Kleingruppe. Weil 2001 von einer Bundesregierung das Aus für Käfighaltung beschlossen wurde – allerdings erst für 2007, wegen des Fairplays gegenüber der Eierwirtschaft. Kurz davor, in 2006, wurde das von einer anderen politischen Mehrheit gekippt. Andere Parteien, andere Sitten, magst du sagen, aber vielleicht wurde die Eierlobby mit der Zeit einfach effektiver und ein wenig freigiebiger – Fairplay ist nicht jedermanns Sache.
Wenigstens die (von gewisser Realitätsnähe ramponierte) Bezeichnung „Legebatterie” wurde rigoros und mutig seitens der Politik durch das sprachlich schönere „Kleingruppenhaltung” ersetzt – bisweilen ergänzt durch „Kleinvoliere”. Aus dem DINA4 -Bewegungsraum für jede Henne von 550 cm2 wurden 750 cm2, eine ganze Handbreit mehr. Auch fiel der neue Käfig sechs Mal größer aus als der alte – wenngleich für die sechsfache Menge an Tieren.
Und hat Voliere nicht irgendwas mit Flug zu tun? Bei einer Drahtdeckenhöhe bei 50 cm doch nur, wenn ein hektisches Flattern a la Hänschen Rosenthal selig als fliegen durchgeht. Ob das Federvieh das „Spitze” findet, sei dahingestellt; erzählen kann es das jedenfalls niemandem, da solche Kleingruppenhaltungen meist vollautomatisch funktionieren. Nur alle paar Tage muss noch mal ein Mensch durch die Gänge – zum Vogelkadaver entsorgen.
Ja richtig, die Politik will auch diese Kleingruppen verbieten.
Im Jahr 2025.
Fairplay gegenüber der Eierwirtschaft, du weißt.
Und überhaupt: die Bodenhaltung hat sich doch – mit und ohne Freiland – eh mehr durchgesetzt.
Richtig. So sehr, dass konventionelle Betriebe mit 200.000 Legehennen alles andere als eine Seltenheit sind, ökozertifizierte Betriebe es teilweise schon auf über 13.500 Hennen bringen und nur noch 10% der Ökobetriebe weniger als 3.000 Tiere halten.
Dass so eine Bodenhaltung für die meisten Hennen nicht unbedingt besser ist, als die Käfige, sickert nur zäh durch. Miese Luft, drangvolle Enge, wenig Licht, schlechtes Futter, mangelnde Hygiene, nichts zu tun. Die Tiere drehen durch. Federpicken, Aggression, Kannibalismus. In Öko-Haltung wie in konventioneller. Was nicht verwundert, wenn du weißt, dass fünf Großfirmen den Eiermarkt kontrollieren – und zwar über das gesamte Eiersortiment, von Käfig bis Öko. Bei Öko gibt’s halt nur etwas mehr Platz und Auslauf. Und die Öko-Standards driften unter dem Druck der Eierlobby weiter in Richtung Massenökotierhaltung ab: Verdopplung der Tiermenge bei Etagensystemhaltung, Erhöhung der routinemäßigen Antibiotikagaben.
Intensivhaltung – bei Legehennen wie bei der Hühnermast – braucht nun mal großzügige Antibiosen als Investitionsschutz. Die fördern 1a die wirtschaftliche Leistung – aber auch das Gedeihen von multiresistenten Keimen, die, in Krankenhäuser verbracht, Schätzungen zufolge locker 20.000 bis 40.000 Tode jährlich auf dem Gewissen haben.
Tode von Menschen. Kollateralschäden beim Kampf gegen Profiteinbrüche in der Geflügelwirtschaft.
Gesund werden die Tiere von den Antibiosen natürlich nicht, sie sterben aber in der Mehrheit nicht vor dem Abschreibungszeitpunkt.
Bei schlechter Hygiene – Ratten, Mäuse, Wildvogelkot, Schmutz, verendete Hühner – und schlechtem Futter ist es um die Gesundheit der Tiere und Genießbarkeit der Eier (Salmonellen) eher schlecht bestellt.
Das ist keine Frage der Größe der Betriebe, das gibt’s in der Tierfabrik ebenso wie in der kleinen Klitsche.
Und das als Öko-Standard deklarierte Futter ist nicht unbedingt besser, als der Normalofraß im Nachbar-Gulag: es enthält oft zu wenig essenzielle Aminosäuren – was die Tiere in puncto Federpicken und Kannibalismus noch mal einen drauflegen lässt.
Schert niemanden. Auch die Öko-Kontrolleure nicht – zumal die Öko-Kontrollstelle von der Betreiberfirma selbst ausgewählt und bezahlt wird. Wie heißt das Sprichwort: „wes Ei ich ess des Lied ich sing“?

Übrigens ist es grundverkehrt, Legehennen und Masthühner in eine Schale zu werfen. Es handelt es sich um zwei gänzlich unterschiedliche Wirtschaftszweige.
Legehennen stammen aus einer grundsätzlich anderen Züchtung als die Masttiere. Deren Designer schafften einen Eierauswurf von 300 Stück pro Jahr pro Tier – üblich sind bei den altmodischen Bauernhofhühnern 20 bis 180 Eier pro Jahr. Leider halten die Legehybrideinheiten das nur etwa 15 Monate durch. Danach winkt dann unweigerlich der Folgejob als Suppenhuhn in der Tiefkühle.
Und die Masthähnchen sind von den beiden marktbestimmenden Masthuhnherstellungskonzernen so gebaut worden, dass sie rapide wachsen, wenn die ihr Turbofutter bekommen – wobei es hilft, dass den Tieren das Sättigungsgefühl abgezüchtet wurde.
Einige der inneren Organe bleiben da schon mal auf der Strecke. Das Herz ist auch nur ein Muskel. Und das Skelett hält schon gar nicht mit: Knochen knacken nach zwei Wochen Mast unter dem bloßen Gewicht wie Nussschalen. Und die instabilen Tiere fallen ständig in den allgegenwärtigen Kotschlamm, was zu Brustblasen und Verätzungen führt – auch in den Atemwegen, denn Ammoniakgase sind nun mal nichts für Luftholer.
Eier können die übrigens auch nicht mehr legen, obwohl es Hennen sind. (Die männlichen Küken setzen zu wenig Fleisch an und kommen stante pede in Häcksler oder in Gaskammern – bei über 40 Millionen pro Jahr ein Hochleistungsjob für die Entsorger. Auch das ist bei Bios nicht automatisch anders.)
Bei Monatsfrist geht’s unter das Messer und ab in den Supermarkt, um dem Verbraucher eine faire 50:50-Chance einer massiven Keimbelastung zu bieten. Nicht schlimm, wenn man schön Acht gibt, dass beim Abwaschen des Hühnergrillguts keine Spritzer auf Essbares in der Nähe gelangen und auch möglichst nichts in offene Wunden kommt. Dagegen helfen aber Küchen-Latexhandschuhe; gibt’s mittlerweile überall zu kaufen.
Gut durchgegart besteht 100%ig keine Gefahr mehr. Es sei denn, man reagiert auf Pestizid-, Antibiotika-, Hormon- oder Beruhigungsmittelaufnahmen. Die sind nämlich ebenfalls großzügig unter das Federvieh und so in dessen Fleisch gekommen.

Und nun? Auf das Staatsziel Tierschutz vertrauen oder vegan in die Zukunft?
Muss nicht. Weder das eine noch das andere.
Es gibt sie nämlich, die landwirtschaftlichen Betriebe, in denen die Haltungsbedingungen den Tieren angepasst werden – und nicht umgekehrt. Betriebe mit alten Hühnerrassen, in denen gesund gefüttert und auf prophylaktische Medikamentation verzichtet wird, in denen für das Wohlergehen der Tiere, für ausreichend Platz und Licht im Stall oder für Auslauf vermittels mobiler Ställe gesorgt wird, wo Beschäftigungsmaterial und Unterschlupfgelegenheiten vorhanden sind.
Ja, ein wenig suchen muss du da schon. Ist aber eine durchaus lösbare Aufgabe.
Und nebenbei: Politik ist veränderbar. Es sei denn, man bleibt ganz unkompliziert und pellt sich auf alles ein Ei.

Zum Nachlesen: Foodwatch-Report 2015 über die Zustände in der Legehennenhaltung
Andreas Bürgel
Unter Verwendung einer Aufnahme des ZDF.