So ein Käse

Ein ganz wunderbarer Käse. Gestern bei ihrer Mutter.
Und nun will die Kundin diesen Käse. Hier und jetzt. Ach, und du ahnst es: sie hat keinen Schimmer, wie das gute Stück heißt.
Beschreiben solle sie, schlägt die Fachfrau hinter dem Tresen vor, hart daran arbeitend, nicht vollends desinteressiert zu wirken.
Farbe, Konsistenz, Geschmack – jedwelche Käsekommunikation wäre gut, aber alles, woran sich die Kundin erinnert ist: „der war lecker, naja, was kann man über Käse schon sagen“.
Stimmt. Handygespräch im überfüllten ICE, die sich um Gerinnung und Bruchlochung drehen, sind nicht durchgängig die Norm. Über Käse spricht man nicht, den isst man. Aber dann fällt ihr doch etwas ein: „Der fing mit E an; aber nicht Edamer oder so.“
„Emmentaler, Etorki, Epoisse“, schlägt die Fachfrau träge vor.
Versonnenes Kopfschütteln auf der Kundinnenseite.
„Fol Epi vielleicht“, mit einem nun genervten Blick auf die Uhr.
Doch nein, der war’s auch nicht.
„Schmelzkäse-Ecken?“, murmele ich, und bekomme einen bösen Blick vom Mann neben mir in der Schlange.
Ganz zu recht. Denn sowas tut man nicht. In der Gegend herumsarkasmieren.
Vielmehr ist man empathisch, zugewandt, man legt sich ins Zeug um zu helfen. Vor allem, wenn schon die Fachverkäuferin nicht wirklich Hilfe lebt.
Und schon kommt meine Wiedergutmachungschance, denn – so gesteht die Kundin ein – womöglich war dieses E gar nicht am Anfang des Käsenamens, sondern irgendwo umschlossen von andersartigen Mitbuchstaben, oder gar ganz am Ende.
„Gruyère, Bleu d’Auvergne, Dachsteiner, Fiore Sardo, Comté, Taleggio, Sankt Severin, Greuilh, Cheddar, Fourme d’Ambert, Fourme de Montbrison, Pélardon, Alpikoner, Parmesan, Chaource, Mozzarella, Morbier, Reblochon, Manchego, Père Joseph, Milbenkäse, Coulommiers, Harzer, Mainzer, Feta, Camembert. Oder Gaperon“, beende ich geschwächt am Tresen lehnend, aber im Wohlgefühl badend, das Richtige getan zu haben, mein Probono.
Doch ernte von der Beigestandenen nur ein angewidertes Handwischen, wie eine lästige, fette Schmeißfliege.
„Ich hab’s schon längst“, nörgelt sie, „es war Havarti. Havarti war’s. Geben Sie mir vier Scheiben. Schön dünn.“
War sowas von klar.
Biete einem Zeitgenossen dein noch nicht abgelaufenes Parkticket an: du kannst froh, sein, wenn es beim „Ey, biste behindert? Was soll ich mit verkackten vierzig Minuten anfangen?“ bleibt. Kümmere dich um ein weinendes, alleine durch die Gänge im Supermarkt irrendes Kind: sei sicher, dass in der nächsten Sekunde die Mutter vor dir steht und über Kilometer vernehmlich darlegt, was man mit Perverslingen wie dir alles machen sollte.
Und jetzt, die Krönung: Havarti. Schön dünn.
Empathitis – ich bin fundamental geheilt.
Schmelzkäse-Ecken, dabei werden ich es belassen.
Das nächste Mal.

Andreas Bürgel