Sprachupgrade

„Absolut spektakulär“, jubelt er und stellt das Glas ab.
„Ja. Wirklich gut, der Wein“, nicke ich, während ich dem säureumspielten Nachhall hinterhersinne und sich Gregg Allmanns Stimme aus den Boxen schiebt.
„Gut? Einfach nur … gut?“, Erwin ist solide beleidigt. „Nasenkaleidoskop mit Gelbsteinfrüchten, Kräutern, Blüten“ beginnt er aufzuzählen und hält das mit einem gestreckten Daumen schon mal fest.
„Vergiss die Zitrusschalen und die Honignote nicht“, steuere ich bei, aber Erwin hat dem Daumen bereits den Zeigefinger zugesellt, „stoffige Mundfüllung“ gesagt und mir einen auffordernden Blick zugeworfen. Dem spendiere ich ein sonores „unbedingt“. Was uns beide dazu führt, diesen Stoff verbal mit Pfirsichen, Grapefruits, Äpfeln, Kumquats, Toffees, Kräutern, Brioches zu illustrieren.
„Und das Säurespiel“, erinnert mich Erwin. Der dritte Finger.
„Ausgefuchstere Spielzüge findest du in keinem Stadion“, bestätige ich.
„Unglaublicher Holzausbau, ein Jahr Fassreife, keine störenden Holznoten“, der vierte Finger. „Ein Riesling, der klar für sich steht, plagiatfrei, selbstbewusst, originell.“
Der fünfte Finger ist nun keine Überraschung mehr. „Nachhall“, sagt er trocken.
„Lange Präsenz“, untermauere ich.
„Perspektive.“
„Ohne weiteres.“
„Und das“, schließt er nun, „das soll einfach nur gut sein?“
Ich betrachte die Flasche. Rheingau. Jungfer von der Ankermühle. 2011.
„Das hier ist etwas Gutes“, versuche ich mich zu rechtfertigen, „nach dem Guten musst du lange suchen. Was soll an ‚gut‘ schlecht sein?“
„Der Typ“, fängt Erwin an, und seine Stimme wird von der Art Geduld getragen, die du leicht bei Berufsschullehrern findest, die den korrekten Gebrauch des Apostrophs erklären wollen, „du weißt schon, der in der Nachmittags-Prügel-Talkshow dieses Privatsenders war, ‚Meine übergewichtige Freundin hat mir meinen Vater ausgespannt‘ oder so. Hat Visitenkarten mit ‚Fernsehstar‘ drucken lassen. Und weisste was: der Typ ist Nummer Eins im Viertel. Mädels in T-Shirts mit seinem Gesicht drauf, Einladungen zu anderen Talkshows in Reihe, frage nicht. Wenn du wahrgenommen werden willst, musst du dick auftragen.“
„Pfff“, ich zucke mit den Schultern, „die dümmsten Bauern kaufen halt die dicksten Kartoffeln.“
„Und Michael Jackson. Haben die etwa ‚guter Entertainer‘ auf seine Platten geschrieben? Von wegen. ‚King of Pop‘, stand drauf, Mann, ‚King‘! Es geht ums sprachliche Aufrüstungsgleichgewicht, um die Verhältnismäßigkeit der Vokabeln innerhalb des kommunikationskulturellen Schlachtfelds. ‚Gut‘ war vor einem halben Jahrhundert gut. Da wurden dir aber auch noch die Beatles gezeigt, wenn du einen Star sehen wolltest, oder vielleicht Erich Fromm. Heute kommen Stars aus Containern, aus Pöbeltreibhäusern des Fernsehens. Oder vom Freak-Camping, wo sie vor laufender Kamera Wurmexkremente zum Frühstück schlürfen. Und Bohlen hat lebnslanges Anrecht auf den Titel ‚Titan‘. Da musst du knüppelhart Stars mit Göttern toppen, wenn du einen Qualitätsstandpunkt klar machen willst.“
„Hab’s verstanden“, signalisiere ich Erwin und frage mich, womit dann wohl die Götter zu toppen sind.
Wir lauschen eine Weile Gregg Allmanns „Whipping Post“.
„Seine neueste Platte“, bemerkt Erwin.
„Unfuckingbelievable fulminantst“, schlage ich nach kurzem Abwägen vor.
Erwin schließt die Augen und schüttelt den Kopf.
„Phantastomanische Genialstintensität?“, versuche ich mich mit dem vermuteten Zweitnaheliegendsten.
Und als Erwin hörbar Luft ansaugt bringe ich „pneumaraperierende Vorschlagshammergrandezza“ und „incredibilischte Hyperkrossität“ auf den Markt der semantischen Eitelkeiten.
„Krassität“, wirft Erwin ein, „nicht Krossität.“
„Bitte?“, frage ich nach, aber Erwin winkt ab: „Lass es gut sein.“
Klar.
Wollte ich doch die ganze Zeit.
Und greife nach der Ankermühle.

Andreas Bürgel
August 2015