Himmelfahrtskommando
Auch Väter haben ihre Tage. Leider.

Die Deutschen lieben Traditionen.
Hierbei scheint ihnen der Inhalt derselben grundsätzlich gleichgültig. Auch die definitorische Frage, wann denn eine Tradition überhaupt eine Tradition ist, ist von geringerer Bedeutung. Hauptsache sie wird gewahrt, die Tradition.
Als so die Kaufhäuser eines Tages verkündeten, es sei ein wunderbarer Brauch, die Fenster der Häuser zur Weihnachtszeit mit blinkenden bunten Lämpchen zu umrahmen, nahmen postwendend Stadtteile, ja ganze Städte ab dem Herannahen des Novembers das Flair der Reeperbahn an und pflegten fürderhin diese Subventionierung der Energiekonzerne munter weiter.
Eine weitere, wenngleich auf den ersten Blick ganz anders anmutende schöne Tradition schmückt den Himmelfahrtstag.
Nichts wirklich Hochtrabendes, wie doch der Name des Tages suggerieren würde; nein, man bleibt auf dem Boden. Aber den bevölkert man zuhauf.
Dort wo man sonst das Jahr über gerade mal Fuchs und Hase trifft – und die selten zusammen -, blickt man auf ziehende Horden, die lautstark von der Freiheit des menschlichen (und beim genaueren Hinhören männlichen) Geistes künden.
Selbst Rentner und sonstige Freigänger des allgemeinen materiellen Produktivitätszwangs, denen man im Familienkreis bereits ein Verwachsensein mit dem Fernsehsofa nachgemunkelt hatte, treibt es wie auf Kommando zum Himmelfahren hinaus. Mit klimpernd bestückten Bollerwagen oder – eine neuerlich sich immer mehr durchsetzende Variante – berucksackt auf dem Fahrrad ist dann kein gemischtgeschlechtliches Grüppchen vor ihnen sicher. „Weiberknecht!“ schlägt es dem Dissidenten, der dem Ruf der wahren Freiheit des männlichen Individuums nicht Folge geleistet hat, entgegen – und zwischen ein paar virilen Rülpsern: „Pantoffelheld. Mamas Bester.“
Denn es ist Vaddertach. Feiertag des Testosterons, des Brauers liebstes Datum.
Da heißt es mit wahren Männerfreunden – und wahre Freunde gibt es eh nur unter Männern – die Evolution ruhig mal rückwärts nachzuempfinden. So beginnt man traditionell mit durchaus noch artikulierten Klassikern, wie beispielsweise: „Ozonloch, Treibhauseffekt? Scheißerfindung der Ökos. Logisch. Weil: es gibt ja kaum noch Treibhäuser.“ Und geht dann fließend in Naturlautkommunikation über, gerne in wohlmodulierte „ÖöIöÖhHöJoo“ – doch ab diesem Punkt darf mutig variiert werden.
Ja, zimperlich muss nicht, wenn man die Tradition auf seiner Seite hat. Und was die Schützen mit ihren Traditionsumzügen können, kann das freie Vadderindividuum schon lange. Also rasch ein bissele Verkehr lahmgelegt und hier und dort großzügig Flaschenglas auf Asphalt zerdeppern.
Scherben pflastern ihren Weg. Doch der ist nicht das Ziel. Denn irgendwie ist jedem klar: homedrinking kills the gastwirt. Und Biergärten sind natürliche Sammelstellen der Himmelfahrtkommandos. Hier, bei schlecht Gezapftem aus gerade mal marginal gespülten Gläsern, wird die lautere Absicht des Ganzen am deutlichsten. Die Absicht, eben noch lauter sein zu können, als zuvor unterwegs.
Ich für meinen Teil verkrieche mich an diesem Tag. So es irgend geht. Und bin am liebsten Weiberknecht.
Während ich heimlich um Regen bete.

Andreas Bürgel