Kassenpatient

Die elektronische Stimme heißt mich herzlich willkommen.
Ein gutes Zeichen, denke ich. Schließlich bin ich Kassenpatient und rufe in einer Facharztpraxis an. Da ist ein Willkommensgruß ja nicht zwingend Pflicht.
Auch nicht von einer elektronischen Stimme. Und die macht regelrecht fröhlich weiter im Text.
Die „1“ möge ich auf meiner Tastatur drücken für allerlei nützliche Formulare, die „2“, wenn ich unbedingt eine Nachricht hinterlassen wollte. Meinen persönlichen Wunsch, ein Gespräch mit einem Bioindividuum zu führen, würde das Drücken der „3“ signalisieren. Also drücke ich. Die „3“. Und gelange zu einer anderen elektronischen Stimme, die mir versichert, dass bald jemand für mich da wäre – und Musik sägt aus dem Telefonhörer.
Doch ja, es ist Musik. Denn die Schallereignisse sind irgendwie organisiert und spielen sich innerhalb der von Menschen wahrnehmbaren Hörfläche ab.
Letzteres bedauere ich nach ein paar Minuten zutiefst.
Aber bereits nach wenigen weiteren Minuten wird dem Plärren Einhalt geboten und die elektronische Stimme, die zweite, meldet sich wieder, beteuert erneut, dass sicher bald jemand für mich da wäre. Und bevor ich einen Dank murmeln kann, bohrt sich die Cyborg-Polka von eben wieder ihren Weg zu meiner auditiven Hirnrinde.
In der Folgestunde trainiere ich meine Restfähigkeiten, mit ungestillten Sehnsüchten zu leben und werde schlussendlich belohnt. Eine tatsächlich menschliche Stimme, weiblich, fragt nach meinem Begehr.
Einen Termin hätte ich gerne beim medizinischen Fachpersonal, und das sage ich ihr auch. Und bekomme bereitwillig mitgeteilt, dass ich dafür nur am Soundsovielten Juni anrufen müsse, zu einer ganz bestimmten Zeit. Ab Punkt 9 Uhr seien dann nämlich die Telefone für kurze Zeit freigeschaltet und die ersten 20 Anrufer bekämen einen Termin.
Mit einem herzlichen „Ich drücke Ihnen die Daumen“ verabschiedet sie sich.
Ja ich weiß, was du sagen willst. Ich bin ein verdammter Glückspilz, schließlich hätte ich ja auch an eine Praxis kommen können, die Terminlose verkauft.
Aber gönn mir doch bitte auch mal was …

Andreas Bürgel