Vision
Brennende Büsche waren gestern.

Hat er nicht. Nicht mehr. Viel zu gefährlich. Weil die nämlich Mikrobotschaften an dein Gehirn senden, die sich dann unbemerkt festsetzen, Unterbewußtsein und so. Und dann machst du dies, machst du das und weißt gar nicht warum. Sagt er und trinkt wieder von dem Tee, den er sich aus einer Thermoskanne nachgießt.
Zugfahrten haben bisweilen etwas Bewußtseinserweiterndes, denke ich mir. Dabei hatte ich mich auf langweilige vier Stunden eingestellt, doch da war mein Mitfahrgegenüber vor. Ein Typ mit Botschaft. Die war im Grunde simpel, wurde aber äußerst eindringlich vorgetragen: Televisionsgeräte, unsere
mittlerweile geplätteten Mattscheiben, manipulieren. Dich, mich.
Ihn nicht. Nicht mehr, weil die Radikallösung in diesem Fall einfach der einzige Weg war: raus mit dem Flimmerich mitsamt Fernbedienung, Fernsehsessel und allem. Er misstraut den Sendeanstalten. Was mir zu kritisieren nicht zusteht; ja, nicht einmal einfällt. Ich misstraue nämlich selbst passioniert. Wurstfabriken zum Beispiel. Wobei ich denen nicht unterstelle, uns gezielt dezimieren zu wollen; deren Ziel ist eher universell: möglichst viel Geld für möglichst wenig von Irgendetwas. Wenn da der eine oder andere Konsument mittelfristig dann doch wegen diesem oder jenem Bakterium respektive dieser oder jener chemischen Keule auf der Strecke bleibt, so ist das eher als Kollateralschaden zu sehen, nicht als unmittelbar geplant.
Mein Mitfahrer allerdings war davon überzeugt, dass die Fernsehsender die – sagen wir – neunzehnte Wiederholung von Columbo nicht wegen der Werbeeinnahmen oder gar aus purer Bosheit bringen, nicht also eigentlich auf unser Geld oder ihren Spaß aus sind, sondern tatsächlich darauf, uns zu liquidieren. Als Individuum nämlich.
Da er sich nach dieser Feststellung meines Interesses sicher sein konnte, kam er auch gleich zum Punkt: Zwischen den Columboszenen, so meinte er, würden die Fernsehsender blitzschnell Bilder auftauchen und wieder verschwinden lassen – Bilder, die zwar schneller seien als unser Auge, aber unser Unterbewußtsein heimtückisch erreichen würden. Du musst dir das in etwa so vorstellen: du sitzt ganz entspannt vor deiner Sendung, plötzlich meinst du, es müsste doch noch eine Tüte Chips dasein, die du jetzt kompromisslos futtern könntest – nein, doch wohl eher futtern müsstest. Klar, dass du weiter nichts dabei denkst, weil die Chips auf dem Kühlschrank eben von deiner Lieblingssorte sind und Chips überhaupt seit den guten alten Tagen des Autokinos für dich nichts an Attraktivität eingebüßt haben. In Wirklichkeit aber hat der Fernsehsender just gerade ein paar Nanosekundenbilder einer Chipsorgie in die laufende Sendung stroboskopiert. Zack, Gehirnmanipulation und Doppelzack, Chipstüte leer.
So zumindest sah das mein Bahnmitfahrer.
Wobei Chips hier noch die harmlose Variante seien. Amoklaufen, FDPwählen, Citroen kaufen … alles war möglich. Je nach Mikrobotschaft der Stroboskopbildern.
Was ich dazu meinte, wollte der TVphobe nicht wirklich hören. Hätte ich aber an seiner statt auch nicht gewollt, wenn ich eine so schöne Theorie aufgezogen und gepflegt hätte. Aber Verschwörungen sind aufwändig und für das Fernsehvolk schlicht unnötig.
Wenn du Chips kaufen sollst, dann sagen die das einfach und geradeheraus im „Gesundheitsmagazin Bakschisch“ – und stantepede stehen die Leute tütenraschelnd an der Kasse der Tanke mit Minishop.
Wenn du FDP wählen sollst, geht es genauso einfach; nur dass die für Chips nur eine, hierfür aber mindestens zwei Dutzend Sendungen brauchen – klappt dann aber trotzdem. Was du in 16:9 siehst, ist hochgradig evident. Wobei die Evidenz mit der Größe der Bildschrimdiagonale ansteigt.
Woher ich das wissen will?
Na hör mal, kuck dich doch um – oder umgekehrt. Und außerdem: weil auf RTL tatsächlich televisionär behauptet wurde, ich hätte mit Kollegen als Backingband für einen Kindergospelchor gearbeitet. Was grundsätzlich eine schöne Sache gewesen wäre, wenn das denn so stattgefunden hätte.
Hat es aber nicht. Die Kids waren zwar zu einem bestimmten Konzert für ein Stück als Backgroundchor mit der besagten Band auf einer Bühne, es war aber mitnichten ein Konzert der Kids. Tatsächlich wurden die Kids zuvor bereits eine Zeit lang mit der Kamera begleitet, von der Gründung des Chores an; Reportage und alles. Es fehlte für die Sendung jedoch noch ein guter Abschluss: ein echtes Konzert mit zahlendem Publikum, CD-Verkauf, massig Kram auf der Bühne und Backstagegewusel. Das alles wurde da eben flink mal im Schneideraum mit Fernsehkommentar gezaubert. Oder sagen wir: visioniert. Seit dem nützt es mir gar nichts, gegenüber Bekannten Gegenteiliges zu behaupten, wenn die von dem Kinderchorkonzert mit den netten Kids erzählen, wie die auf die Band gestoßen sind und ganz aufgeregt vor dem Konzert waren. Es nützt nichts, denen zu sagen, dass sie nur eine Vision hatten; nicht die Variante brennender Stechginster oder Kristallkugel, sondern eben RTL-Vision, Television.
Wer braucht Bilderblitze unter der Wahrnehmungsschwelle aus Columbos Trenchcoat, wenn man einfach nur senden braucht, was man glauben machen will. Mit dem richtigen Schnitt und Kommentar ist alles möglich.
Okkulte Mikrobotschaften? Vielleicht früher mal.
„Colour your life“ und „We like to entertain you“ schaffen den Job viel besser. Und kalkulierbarer.
Und so gesehen hatte der Bahnmitfahrer eigentlich gar nicht mal Unrecht.
Vielleicht sollte ich den Plattschirm samt Fernsehsessel und Chipstüte tatsächlich rausschmeißen.

Andreas Bürgel

TeleVision