Der Klöckner von Rotterdam
Oder: Sartre in der Reinigung

„Das geht aber so nicht raus.“
„Ich denk, das is hier ne Reinigung?“
Ein strenger Blick der Weißbekittelten aus Augen, die in einem beinahe quadratischen Gesicht Heimat gefunden hatten: „Natürlich ist das eine Reinigung. Aber das hier“, ein Klopfen von vier verhornten Fingerknöcheln auf den ausgebreiteten Mantel, „ist eine Strukturveränderung und die geht so einfach nicht raus.“
„Das isn Fleck.“ Bellte es zurück.
„Ja, aber der ist da drin.“ Ein doppeltes ultimatives Stakkatoknöchelklopfen hämmerte mit geradezu richterlicher Autorität zu diesem Urteil.
„Natürlich is der da drin. Sonst könntich den ja einfach wegwitschen.“
„In der Struktur. Der ist in der Struktur drin.“
„Struktur, Struktur – sieht das hier etwa aus wien Bauwerk? Das isn Mantel. Einer mitm Fleck. Und der muss weg.“
Sichtlich stolz auf seinen Spontanreim drehte sich der Mann – Typ Museumswächter im Nachtdienst a.D. – um und grinste die hinter ihm versammelte Kleingruppe Textilabgabewilliger an. Eine kleine Schlange vor dem Reinigungstresen, die langsam aber sicher ihre Form verlor, da das Voneinemfußaufdenanderentreten die bei Wartenden hierzulande typische Linienform mittlerweile arg deformiert hatte. Niemand erwiderte sein Lächeln. Nein, ich auch nicht. Die Welt ist kalt.
„Da muss man dann halt waschen. Dann geht das auch raus. Aber dafür müssen Sie eine Waschkarte unterschreiben.“
„Waschkarte?“
Ich teilte die Verblüffung des a.D., so etwas war auch mir noch nicht untergekommen.
„Mit der Unterschrift auf der Karte sind Sie einverstanden, dass wir den Mantel waschen.“
„Sie solln den reinigen. Waschen kannich den auch alleine.“
„Nein. Können Sie nicht. Dürfen Sie gar nicht. Schauen Sie hier: auf dem Einnäher. Das Zeichen bedeutet: ’nicht waschen‘.“
„Aber Sie dürfen das?“
„Deshalb sollen Sie ja die Waschkarte unterschreiben. Falls etwas passiert und der Mantel einläuft und außer Form gerät.“
„Und ich renn dann rum wie der Klöckner von Rotterdam mit einem eingelaufenen und formlosen Mantel? Teufel werd ich tun. Reinigense das Ding und fettich.“
„Aber so geht das nicht raus.“
„Klar, istn Fleck.“
Ich betrachtete die Vorderfront meines Übergangspullovers von oben. Ein kleines Löchlein am unteren Bund fiel mir auf. War mir bislang entgangen. Offenbar hatte die Motten im Schrank eine ganz eigene Definition von Übergangspullover.
„Ein Fleck würde ja rausgehen.“ Das Quadratgesicht wurde ein wenig eckiger.
„Na bit – te.“ A.D. klopfte nun auch. Zweimal.
„Aber keine Struk – tur – ver – än – de – rung.“ Sechs Klopfer. Klare Führung.
„Aber da ist der doch drin.“
„Der Fleck?“
„Genau.“
„Wo drin?“
„In der Struktur.“
„Genau!“
„Na, dann reinigense den doch weg.“
„Mit der Waschkarte!“
Meine Flucht aus dem Laden geriet spontan, komplett vegetativ gesteuert.
ICH würde waschen. Meinen Mantel. Ganz ohne Karte.
Lieber den Klöckner von Rotterdam oder den Golem von Oehe-Schleimünde geben, als eine weitere Minute im Zwangspublikum dieser Endzeitversion von Abbott und Costello verbringen.
Es sollte sie nicht einfach jeder bekommen, diese Clean Card.
Und überhaupt muss man Sartre recht geben: Hölle ist kein Ort, das sind die anderen.
Wer’s nicht glaubt und gerade nichts zum Reinigen hat, stelle sich an einen Infostand in einem Baumarkt …

Andreas Bürgel