Der Weihnachtsgedanke
Politischer Respekt

Das passt nicht, haut nicht hin.
Musst du dir vorstellen wie ein Duo-Gig von Xavier Naidoo mit Joe Satriani oder wie Martin Semmelrogge, der engagiert wird um verstörten Flüchtlingskindern Gutenachtgeschichten vorzulesen.
Dass das nicht geht, sagen zumindest die Parteien. Also nicht alle Parteien. Die Piraten zum Beispiel nicht. Also jetzt nicht das mit dem Semmelmartin und Xavier.
Pass auf: Die reden über Kultur. Also nicht so über experimentelles Tanztheater wo du denkst da hat jemand einen Plüschtierzoo animiert und auf auf Droge gesetzt oder Fettecken von diesem Huttypen, dem Beuys, der mal ruckzuck die gesamte Friseurinnung verprellt hat als er meinte, wir alle wären schon so von ganz alleine ästhetisch.
Nicht solche Kultur. Da musst du schon größer denken, eher in Richtung komplettes Abendland, westliche Werte. Also Kulturgemeinschaft, christliche Paradigmata, Leitkultur. Du verstehst. Und wenn du meinst, da ist man ja schneller beim Kulturkampf als Günther Netzer „äh“ sagen kann, liegst du gar nicht mal falsch. Weil wenn du erst mal so eine Kulturgemeinschaft zusammengewerkelt hast, dann kann nicht einfach jeder alles machen, dann gehen just bestimmte Dinge einfach nicht.
Weil sie eben nicht passen. Schon rein gedanklich nicht. Und wieder klar, dass ich hier nicht die Gedanken von Kurt am Bratwurstglöckle meine, so wie „muckefuck, wieviel Brötchen sollte ich jetzt noch mal mitbringen“, sondern den Gedanken quasi als Idee. Als philosophisches Dings. Mit Bedeutungsanhang, Fußnoten und allem.
So wie der Weihnachtsgedanke. Da steckt von ganz alleine mehr Kultur drin als Keime in chinesischen Erdbeeren. Oder – mit Beuys gesprochen – der ist von ganz alleine kulturell. Hochkulturell.
Und genau um den dreht sich hier eigentlich alles: um den Weihnachtsgedanken. Und was zu dem passt. Oder eben nicht. Denn du kannst – Gedanken sind frei hin oder her – an dem Weihnachtsgedanken nicht mirnichtsdirnichts harumvariieren, also anstelle der Dreikönigsfiguren sagen wir Captain Marvel, den Hullk und den Punisher an die Bastelkrippe stellen.
Ebenso wenig wie du in der Vorweihnachtszeit einfach Wahlplakate kleben kannst.
Und jetzt halt dich fest. Genau das ist passiert. Jaha! Und nicht irgendwo, sondern mitten in Hannover drin.
Logisch, dass dann die von der anderen Partei, also der Partei ohne Plakateure, gesagt haben: mangelnder Respekt vor Weihnachten! Und kein Respekt vor Weihnachten ist wie wenn du einen 9er BMW oder einen Mercedes SLK nicht vor einer angekündigten Baustelle von der linken Spur vor dich reindrängeln lässt, nur weil der sich nicht wie alle anderen hinten angestellt hat – da bist du dann nämlich krass respektlos gegen das Abendland, also gegen die Kulturgemeinschaft. Und ohne Abendland – gute Nacht.
Das hat die Plakatpartei schnell verstanden und sogleich depeschieren lassen: „Fürchtet euch nicht, ich verkündige euch große Freude, Übereifrige haben geklebet ohne Plakatierungsprokura, der Weihnachtsgedanke bleibet rein.“
Vielleicht waren das ja auch Leute von woanders, die noch nicht so richtig mit der Kultur und allem vertraut waren. Jedenfalls mussten die ein bissele plötzlich die ganzen Poster wieder abfriemeln.
Und keine Sekunde zu früh. Denn schließlich wird der Platz ja bangig gebraucht von den Handelstreibenden; für’s Weihnachtsgeschäft. Frage nicht, es verkauft sich schließlich nichts von alleine. Da müssen schon Anreize raus. Und für so Megaflachbildschirme oder Komplettheimwerkerausstattungen braucht es ganz ordentliche Plakatwände. Wo bitte hätten die dann noch stehen sollen, wenn die Politik den Weihnachtsgedanken missachten würde.
Nach dem Krippenfest können sie dann aber hängen, die Politiker. Respekt ist dann nicht mehr nötig.
Oder hast du schon mal was vom Alltagsgedanken gehört?

Andreas Bürgel. November 2012