Kafffe

Gefahrenherd
The dangerous kitchen

Der grinsend hinter der Zimmerlinde lauernde Psychopath mit Rasierklinge? Das außer Kontrolle geratene Auto? Der unvorbereitet menschliche Gefäße treffende kalte Duschstrahl? Kintopp! Die wahre Gefahr für Leib und Leben heißt Spaghetti aglio olio, halbe Ente an Apfel-Schmalz-Rotkohl, Tournedos Rossini, Artischockenrahmsuppe, Gratin Dauphinoise.
Dein Killer erwartet dich auf dem Teller.
Essen.
Fettes, salziges, scharfes, gebratenes, gepökeltes, geräuchertes, gegrilltes, luftgetrocknetes. Essen mit zu hohem ph-Wert, Essen mit zu niedrigem ph-Wert. Natürlich auch zu heißes oder Essen, das nicht heiß genug war. Dazu Getränke. Milchhaltige, zuckerhaltige, säurehaltige, alkoholhaltige. Alle auf einer Mission, einer todbringende Mission. Klar definiertes Ziel: dich zu eliminieren.
Zumindest war das so medialer Konsens; bis vor kurzem, denn nun gelang es den Medien den bislang unentdeckten Überkiller zu finden, den Bigfoot der Assassinen, den Yeti der Verdammnis. Du musst wissen: Essen und Trinken waren schon schlimm aber eigentlich nur ein Produkt, ein ausgetickter Golem; der Ursprung, der Gefahrenherd ist just die Küche selbst.
Hatte es Frank Zappa nicht schon vor Jahrzehnten gesagt? „In the dangerous kitchen when the night time has fallen and the roaches are crawlin‘ In the kitchen of danger you can feel like a stranger.“ Recht hatte er – und nun haben es schlussendlich auch die Medien kapiert. Langsam, aber mit Macht. Die Rede ist nicht unbedingt von Küchenunfällen mit Hackmessern, Sägemessern, Häckslern, Schneidemaschinen, Fleischwölfen oder Rouladennadeln – obwohl die auch ihren Beitrag leisten. Auch nicht wirklich von hocherhitzten Flüssigkeiten, die sich heimtückisch und fatal über Leute ergießen oder von Küchenfeuern, die schon mal ein paar tausend Menschen in den Hades schicken können.
Peanuts.
Es geht um weit mehr: um die Küche als Ort des Bösen, Brutstätte des Verderbens, Hort der natural born extremely hardboiled killers: EHEC, Salmonellen, MRSA, Campylobakter, Listerien, Vogelgrippeviren, Fungi, e.Coli, Legionellen. Um nur einen Anfang zu machen. Plus der Mutanten und Epimutanten.
Schlag irgendeine Zeitung auf – FAZ, Süddeutsche, Christ und Welt – wenn du die ganzen schmutzigen Details möchtest: Dem Kind, das unbeschwert zum Kühlschrank hüpft und die Tür aufzieht um sich einen Joghurt zu holen, blicken heimtückisch durchschnittlich sage und schrei(b)e 11,4 Millionen Bakterien aus kalten Augen entgegen – das war’s, mein Kleiner, definitiv ausgespielt.
Jochen, der freiwillig Spüldienst macht, hat nicht mit den Sommertemperaturen gerechnet: der Spüllappen in seiner Hand verbirgt über vier Millionen bösartige Mikroorganismen im Wringwasser, eine halbe Million wartet kichernd auf den Reservebänken in jedem schmierigen Quadratzentimeter Abfluss. Deinen Kenogewinn wird jemand anderes abholen müssen, Jochen.
Birte, die noch eben schnell ein wenig Kohlrabi zum Dippen aufschneiden will, entgeht die Tatsache, dass das Schneidebrett zum Bersten voll mit überbelegten Herbergen für Kolibakterien ist – dagegen ist der Toilettensitz auf dem Bahnhofsklo ein Sterillabor. Die Pilatesgruppe wird dich schmerzhaft vermissen, Birte. Das Ende einer Kleinfamilie.
Und das ist erst der Anfang.
Schon jetzt zählen die USA hunderttausende Krankenhausaufnahmen durch Bakterien in Küchen, lese ich. Viele enden tödlich. Und die Killer werden täglich professioneller. Die Spezies Mensch: chancenlos wie die Bundesregierung gegen die BILD.
Die bekannte Initiative der europäischen Gesundheitsminister, an die Tür einer jeden Küche das amtliche Schild mit der Aufschrift „Kochen fügt Ihnen und den Menschen in Ihrer Umgebung erheblichen Schaden zu“ anzubringen, war nur das Anfangsgestolper auf einem Weg, der zur Radikalschließung aller Küchen führen muss.
Macht die Küchen dicht!
Nur so kann nicht nur der Feldzug der diabolischen Küchenbakterien nachhaltig gestoppt, sondern zudem das desaströse Essen ein für alle Mal vom Tisch gefegt werden.
Tabula! Rasa!!

dangerous kitchen

Andreas Bürgel