Spezielle Drehverschlüsse und „Stainless Caps“ (ein besonderer Kronkorken) für Weine mit längerer Verweildauer auf der Flasche, „Vino Lok“ Glasstopfen für mittelfristig verglaste Weine … die vorhandene Technik eröffnet mehrere Möglichkeiten eine Weinflasche sachdienlich zu verschließen.
Und dennoch wird weiter mit „Presskorken“ und Billigkorken hantiert, die den Wein gründlich versauen können. Oder es werden Korkimitate aus Kunststoff in Flaschenhälse gezwängt, die dort bald ihre Verschlusskraft verlieren und in einigen Fällen – ich behaupte es auch gegen anders lautende
Beteuerungen weiter – dem Flascheninhalt früher oder später eine dem Wein fremde Geschmacksnote hinzuzufügen.
Das ärgert mich. Und führte vor einiger Zeit zum „Tatort“.
Tatort
Kriminelle Weinverschlusssache.
Ich verließ die Stadt auf der Ausfallstraße. Im Berufsverkehr sah sie meist aus wie der längste Parkplatz der Republik.
Um diese Zeit aber war hier nicht mehr viel los. Das Radio spielte einen Song von Keb Mo und ich begann mich ein wenig zu entspannen.
Als ich die Stadt ein paar Kilometer hinter mir gelassen hatte, kam ich auf eine lange, dunkle und baumgesäumte Straße, an der nur wenig Häuser lagen. Nach einigen Minuten bog ich zwischen Birken in eine Hofzufahrt ein.
Auf dem nur schwach beleuchteten Platz vor dem zurück gelegenen Haus befanden sich bereits einige Fahrzeuge. Kombis, Limousinen, die meisten waren Mittelklassefahrzeuge, recht typisch für diesen Anlass. Ich stieg aus dem Wagen und sah Harry auf mich zukommen. Er sah reichlich mitgenommen aus, beinahe ein wenig grün im Gesicht.
Er fasste mich kurz seitlich am Arm und ging wortlos voraus. Rau knurrte er über die Schulter: „sie ist übel zugerichtet.“
Harry hatte so etwas schon öfter mitgemacht und seine Verfassung gab mir zu denken. Aber so ist das, das Grauen greift uns unmerklich, packt uns an den Säumen und geht im Schleichgang auf unseren Kern los bis es uns im Griff hat.
Ich sah auf die Uhr, ein wenig nervös, wie immer an einem Tatort wie diesem; stellte mich auf das Schlimmste ein. Meine Augen mutierten zu bloßen Kameraobjektiven, aufnahmebereit, aber nichts wirklich ins Innere durchlassend. Ich würde mich auf die Details konzentrieren, die Tragödie hinter Sachverhalte schieben. Nur so konnte ich im Gleichgewicht bleiben.
Als ich schließlich das Zimmer erreichte, stand eine Handvoll Leute um den Tisch herum. Die übliche Versammlung.
„Was haben wir?“, fragte ich in die Runde.
„Zwei, die es übel erwischt hat. Wir haben die Austrittsöffnungen freilegen können, es sieht aber insgesamt nicht gut aus.“
„Das, was ich vermute?“
„Wir sind noch nicht soweit, könnte aber gut sein.“
„Verdammt, schon das achte Mal in dieser Woche.“
„Ja, und es besteht kaum Hoffnung, dass das hier die letzten sein werden.“
Beklommen sahen wir uns an. „Zeig mir, was ihr habt“, bat ich.
Auf zwei silbrigen flachen Schalen lagen sie. Es schauderte mich. Kurzzeitig musste ich mich abwenden. Daran kann man sich einfach nicht gewöhnen, so oft man auch damit konfrontiert wird. Beruhigend klopfte mir Harry auf die Schulter.
„Na gut“, brummte ich, und wandte mich dem ersten zu. Ja, er war’s. Kein Zweifel, er hatte wieder zugeschlagen.
Ich hielt ihn zwischen Daumen und Zeigefinger. Schäbiges Granulat-Klebstoff-Gemisch, auf die billige Tour industriell hergestellt, kursiert unter dem Euphemismus „Presskork“ auf dem Markt. In Wahrheit: ein hinterhältiger Killer. Tötet alles, wenn er kann. Macht keine Unterschiede in Farbe oder Herkunft.
Aber warum – wie war das möglich … schon wieder, immer wieder? Dass das Zeug im Umlauf blieb, wollte mir nicht in den Kopf. War es einfach nur Leichtsinn, die blinde Hoffnung, er würde damit aufhören, es zu tun?
An die Hintermänner würde wie immer nicht heran zu kommen sein. Niemand war verantwortlich. Nur Ehrenmänner.
Das Opfer war noch jung. Es hätte einmal eine schöne Cuvée werden können. Nun aber war dieser Traum ausgeträumt. Traurig blubberte es aus der Austrittsöffnung in das Analysegefäß.
Das berüchtigte Trichloranisol, Bestandteil des „Presskorks“, hatte ganze Arbeit geleistet.
Mit leicht vibrierender Hand trat ich an das andere Tablett.
Sogleich konnte man den Blender erkennen. Als Naturechter wollte der daher kommen, schade nur, dass er völlig denaturiert war. Optisch geschönt mit Chlorbleiche oder Peroxid. Um sicher zu gehen schnitt ich ihn mit rascher Klinge auf. Da war der Beweis: äußerlich hell und mit geschmeidig-glatter Oberfläche, die den Acrylkunstoffüberzug verriet, zeigte sich innerlich eine deutlich dunklere Färbung.
Acrylkunstoffüberzug? Auf einmal war ich nicht sicher. Konnte auch ein Gleitmittel sein. Paraffin oder Silikon. Von wegen: Naturkorken; dass ich nicht lache … Der war vielleicht noch schlimmer als der Gepresste. Perfider. Und auch er hatte sein brutales Geschäft verrichtet.
Schon als der Schwall blutrot über die Austrittsöffnung wogte, konnte man es ahnen. Die Diagnose auch hier: Trichloranisol. Wieder der „Korkschmecker“.
Tage wie dieser machen einen fertig. Und dabei wäre es so einfach. Ein wenig mehr Vernunft.
Aber es scheint hoffnungslos.
Mit zementgrauen Gesichtern sahen wir uns an. Schulterzuckend verließ ich in tiefer Resignation den Raum.
Ich werde auch diese Nacht wieder unruhig schlafen, von Pentachlorphenol träumen, das sich in die Rinden der Korkeiche verkrallt, vom gehörnten Trichloranisol mit dem Dreizack.
Und kein Ausweg.