Provinztourismus
„’Das architektonische Kleinod am Rande der norddeutschen Tiefebene, idyllisch zwischen Chemiekonzern, Verschiebebahnhof, Großkläranlage und Nutzfahrzeugindustrie gelegen, punktet zu jeder Zeit an der Peripherie wahlweise mit entspannten Kühen in schwarz-weiß oder Profi-Krähen in vollschwarz sowie im Zentrum mit unvergesslichen Angeboten an Currywurst, Döner und Pizza, auch für den verwöhnten Daumen.‘ So einen Text könnte ich doch unserem Bürgermeister schicken, oder?“
„Gaumen“, mault Erwin, „das muss Gaumen heißen.“ Dann, nach einem tiefen Schluck vom roten Matassa: „Nee, hast recht, passt schon, der Daumen. Besteck haben die ja eh alle nicht.“
„Echt, was hat der sich gedacht. Der Bürgermeister. Will unser Kaff, was hat er gesagt, ‚für den Tourismus erschließen‘. Kernaufgabe seiner Amtsführung und alles.“
„Ja, stand so ein paarmal in der Zeitung.“
Nun bin ich mit Weinsaugen dran.
„Nicht schlecht“, meint Erwin, deutet auf die Flasche. „Wo hast du die her? Der Stoff packt ernsthaft zu.“
„Nicht aus dem Ort hier, soviel ist mal sicher. Und – der will doch nur spielen.“
„War vielleicht ein Druckfehler, das mit dem Erschließen des Orts für die Touris.“
„Du meinst, er will das Kaff eigentlich für den Tourismus … schließen!?“
„Wäre echte Touristenfürsorge. Quasi menschlich.“
„Könnte sein. Druckfehler.“
„Muss“, bekräftigt Erwin und schenkt noch mal ein.
Wer sagt, dass Stammtischparolen nur in Kneipen ausgetauscht werden können.