Zur Einstimmung:
„Das Problem ist … dass Menschen in westlichen Gesellschaften immer weniger bereit sind, eine Rolle zu spielen. Stattdessen treten sie als private Personen auf. Das ist eine Entwicklung, die derzeit ständig zu solchen Emotionen führt, zu Ressentiment, zu Hass auf den anderen.“
„Damen des 19. Jahrhunderts hätten einem Herrn, der einem … unangenehme Sachen sagt, vielleicht eine Ohrfeige mit dem Handschuh gegeben. Diese Art der Abstrafung ist aber ein Rollenprivileg. Wenn man die Rolle einer Dame spielt, hat man das Recht, Männer für kleine Übertritte so abzustrafen. Aber man hat das nur dank dieser Rolle.“
„Die Männer schämen sich (heute) dafür, Männer zu sein, sie sind immer Täter und Belästiger. Die Frauen ärgern sich aber auch, weil sie immer die Opfer sind. Etwas vergröbert könnte man sagen, wir haben es fertig gebracht, uns innerhalb weniger Jahrzehnte die Geschlechterverhältnisse völlig zu vermiesen. … Wir brauchen spielerische Gegenzüge, wir müssen lernen, unsere Rollen wieder lustvoller zu spielen …“
Robert Pfaller, FAZ-Interview
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Gender Mainstreaming
Nicht überall ist Weinland. Rebbestandene Hänge, Buschenschenken und Heckenwirtschaften brauchen ihre geographische Breite. Außerhalb dieser dominiert in Europa der gemeine Biertrinker. Doch auch der lässt sich – da staunst du – sein Weinfest nicht nehmen. Auch und gerade nicht in der Provinz.
Diesen Festen kann man eine Menge nachsagen, nur nicht, dass sie unberechenbar wären. Wahrscheinlich liegt genau da ihr Erfolgsgeheimnis. Der Biermensch braucht Berechenbarkeit wie trockene Socken. Es macht einfach keinen Spaß mit Faustschlägen auf den Kneipentisch gegen irgendwas zu wettern, wenn du nicht bombensicher sein kannst, dass dein Stammtisch dabei abgeht wie der Fanblock von Manchester United. Hier hasst man dieses „Nichts ist unmöglich“. Liebend gerne wäre man Bill Murray im „Murmeltier“ – und das realiter und lebenslänglich. Ersatzweise schuf man mit dem Weinfest in der Bierprovinz etwas, das diesem Ideal sehr nahe kommt, denn die Eventarchitektur ist in Stein gemeißelt.
Ein Party-Duo arbeitet hart an dem Beweis, dass mit Musik nicht in jedem Fall alles besser geht.
Die Malgruppe der Kerngemeinde wirft die Frage auf: was darf Kunst – und warum hier?
Jemand bietet Edamer-Spieße feil.
Grundelastische Flammkuchen warten darauf, klappstullenmäßig gefaltet durch den Schlund zu glibschen.
Und Wein – ja, den gibt’s auch.
Neben dem regionalen Weindealer mit seinen Konfirmationsbedarfsflaschen finden sich ein paar Buden autobahngestählter Winzer mit bewährtem Sortiment. Darin ein ganz besonderer Wein, der zwischen den Huxelreben und Dornfeldern auf der Weinfestkarte nicht extra ausgewiesen wird: der Damenwein.
Nähert sich ein weiblicher Gast einer Bude, wird mit einem „Für die Dame“ ungefragt ein Rosé auf den Tresen gehievt. „Ein süßes Schätzchen für das süße Schätzchen“. Aber nicht dass du glaubst, die derart schräg Minnebesungene würde nach einem Sprung über die Budenbarriere mit wohlplatzierten Kniekehlentritten die Vereinigung von Winzer und Heideboden vollziehen und die Sache mit pädagogischem Entleeren des klebrigen Zeugs in die Kehle des Schrats beenden. Keine Spur. Denn hier, zwischen Heidekraut und Nadelwald, wird munter gelebt, was du in Zeitungen über diese Rollensache lesen konntest.
Was da stand? Pass auf: Frauen und Männer sind anders, aber vor allem: Models. Natural born Rollenmodels.
High Heel-Akrobatik hüben und Ray-Ban Aviator-Nasendauerdellen drüben – wir müssen in jedem Fall unseren Geschlechterrollen gerecht werden. Denn liefern wir die nicht 1a ab, verunsichern wir bloß alle. Und wer will schon für lauter stotternde Fingernagelknibberer verantwortlich sein. Überhaupt haben Frauen es satt, stand da, sich wehren können zu müssen; wehren passt nicht zur Rolle. Männern hingegen stellt sich diese Frage nicht – echte Kerle seit dem Pleistozän. Liegt an den Hormonen. Oder an so einem göttlichen Fügungsding, da sind sich diese Verfechter separierter Geschlechterwelten nicht einig. Wohl aber darin, dass Frauen und Männer so kompatibel sind wie Vulkanier und Klingonen. Vor allem nach method-acting-mäßiger Verinnerlichung ihres Rollenmodells. Du bringst eher einen Elefanten zum Maultrommelspielen, als aus Ken und Barbie ein Team zu machen – sagen die. Außer du konsultierst eine astrologische Partnerberatung. Oder einen Diversity-Manager.
Doch glaube mir, es geht auch anders.
Zurück zu unserem Weinfest.
Denn hier, zwischen schwitzenden Käsespießen und „Rivers of Babylon“-Remixen, läuft das so: Hat man genug von seiner Gender-Ecke zieht man die Ray-Bans vom Zinken, kickt die High Heels ins Gras, lässt Männerpils und Damenrosé stehen und trifft sich ohne Rolleninsignien bei Acolon oder Cabernet Dorsa. Neutraler Boden, den du sonst suchen musst wie einen Parkplatz in der Innenstadt. Unter bacchantischer Schirmherrschaft wird da miteinander geredet, als könnte man sich verstehen, als bräuchte es keine Enquete-Kommissionen zur Verständigung. Und nach einer Weile kannst du ein paar Gestalten geduckt nach Hause schleichen sehen – die professionellen Koexistenzberater, die Partner-Chakra-Energiecoaches, die hier Kundschaft witterten.
Und für diesen Anblick nimmt man Huxelrebe und Partyduo doch gerne mal in Kauf, oder?