Weiße Weihnacht
Für ein zivilisiertes Miteinander gibt es Regeln: Man zeigt nicht mit dem Finger auf Pullunderträger. Nein, auch nicht, wenn dieses textile Pendant zu Mettigel und Königinpastete quietschgelb ausfällt und der Ausschnitt den Rahmen für einen gepunkteten Querbinder spielt.
Ebenso unterlässt man es, seinen Gastgeber beim Auftragen der Bouillabaisse nach der Maggi-Flasche zu fragen. Und natürlich wird der Telefonhörer nicht abgehoben, wenn man gerade den Mund voll hat.
Ich weiß das. Eigentlich.
Dass ich dennoch lebkuchenkauend nach dem Kommunikationsknochen schnappte, war meiner Faszination über die vor mir liegende Zeitung geschuldet. Mangelnder Respekt gegenüber Weihnachten wurde da beklagt – gleich nach einer Doppelseite Werbung mit massenhaft Tablet-PCs und Handys unter grünen Tannenzweigen mit roten Schleifen.
„Spreche ich mit Andreas Bürgel persönlich?“, tönt, nein: schmust es aus dem Hörer, dass mich ein Gefühl tiefer Geborgenheit überfällt. Da meint es einer gut mit mir – und will mich „persönlich“ sprechen, so wie man seine Diagnose mit dem Chefarzt „persönlich“, und nicht mit irgendeinem Stationsadlatus diskutieren möchte. Da geht das Ego auf wie Briocheteig in der Sauna.
Blöd nur, dass das seit Montag der dritte Anruf dieser Art ist. Alle mit der gleichen Eröffnung – unverkennbar das Branchen-Hallo der Schergen des Telefonmarketings.
Rigoros steuere ich auf einen souveränen Abbruch zu. Das „Moaoumf“ allerdings, das mir das halb zerkaute Backwerk an meinem Gaumen erlaubt, wirkt so einschüchternd wie ein Jockey in einer Wrestler-Garderobe.
Der Scherge legt los, spricht von Weihnachten, das vor der Tür stehe, dem Fest der Freude, quasi Götterfunke samt Tochter aus Elysium, der Brüderwerdung der Menschen.
Ja, denke ich, alles schläft, Owie lacht, nur die Werbebranche ackert wie das Vögelchen in der Kuckucksuhr zur zwölften Stunde.
Am Rest Lebkuchen vorbei nuschele ich mein „über 50“ ins Telefon; das lässt Anrufe dieser Art implodieren – werbungseffektive Altersobergrenze überschritten.
Doch diesmal nicht. „Gerade zu Weihnachten trinken Sie sicher auch mal einen schönen Rotwein, Herr Bürgel“, psalmodiert der Telefonscherge unbeeindruckt; offenbar gelten neue Altersregeln. „Weihnachten ohne Rotwein ist doch wie eines ohne Ochs und Esel.“
Ich grätsche rein, verrate ihm, dass man Ochsen und Esel ganzjährig und überall anträfe und es im Übrigen Weihnachten bei uns Felchen mit Salbeibutter gäbe. Das schien mir einen 1a Schlussgong für sein rotweinseliges Krippenspiel abzugeben. Doch einen Telefonschergen erreichen? Da kannst du gleich versuchen, den Cholesterinjunkies vor der Pommes-Bude Müsli zu verkaufen.
„Prima, Herr Bürgel, und zu den Felchen dann unsere Cuvée aus Cabernet, Merlot und Dornfelder. Die ist dunkel, sage ich Ihnen. Superdunkel! Und wissen Sie, Herr Bürgel“, fährt der Scherge fort, während sich in meinem Kopf der verzweifelte Kampf des Salbeifischs gegen den Darth Vader, der aus der Kelter kam, manifestiert, „die wird sogar immer dunkler.“
Ich lasse ihn müde wissen, dass das ja doch irgendwie phantastisch sei und denke, dass PR ein schmutziges Geschäft ist. Wen wundert’s, dass auch Weingüter diesen Geschäftsbereich outsourcen. Sollen sie ja. Aber muss man gleich den erstbesten Telefonjoker anheuern?
Ich frage, ob er selbst denn auch Wein trinke.
„Herr Bürgel, einen guten Roten zu Weihnachten – das gehört doch dazu.“
Klarer Fall, der Mann liebt sein Thema, ein Tarantino unter den Telefonjokern. Und als ein neuerliches „Herr Bürgel“ aus der Leitung schwappt, presst mein Finger fest die „Auflegen“-Taste.
Es gibt Regeln der Zivilisation. Zu denen gehört, dass du nicht ständig auf dem Namen deines Gegenübers herumreitest wie auf einem Rodeogaul. Und ich beschließe, dass es dieses Jahr weiße Weihnacht geben wird – zumindest bei mir im Weinglas.
Da kämen die glockenklaren Rieslinge von Albert Boxler gerade recht.
Sage nicht, dass Telefonmarketing nichts bewirkt.