Humbatätärää

Die Pöpel

„Bist jetzt einer von denen Beatles?“, fragte meine ehemalige Grundschul-Religionslehrerin. Der Blick, den sie früher für Geschichten über Judas oder Herodes reserviert hatte, löste sich nur langsam von meinem Haar. Schulterlang, selbst geschnitten. Anlass genug für meine Mutter, mich umgehend in Schutz zu nehmen: „Beatles? Aber nein, er hört doch immer die Pöpel.“
Natürlich sagte ich zu alldem nichts.
Denn erstens war es meine eigene Schuld, ich hätte ja nicht nach dem Orgeln, das mich mit dem dringend benötigten Kleingeld versah, noch vor die Kirche gehen sollen, wo die Leute auf ein Schwätzchen versammelt waren; der Sakristeiausgang hätte es auch getan. Und zweitens war die Sache viel zu wichtig, als sie auf diese Ebene ziehen zu lassen.
Denn was für andere „leichte Muse“ war, war für uns Rock. Ranglistenplatz 1 der Dinge, die ernst zu nehmen waren. Und Deep Purple, für meine Mutter „die Pöpel“, war mitnichten just another Band from UK.
Purple war ein kosmisches Ereignis, Teil der Antwort auf die Sinnfrage schlichtweg.
Dass sich ein Kumpel von seiner Freundin trennte, weil die in einer unbedachten Äußerung die Band als zu „hart“ bezeichnet hatte, wurde als so grundlegend normal empfunden, wie die umgehende Verbringung eines geburtstagsgeschenkten Karo-Pullunders in die Altkleidersammlung.
Wenn Clapton Gott war, wie damals manche unter uns ständig behaupteten, dann war Purple der ultimative Feuerbach-Bakunin-Nietzsche- Cocktail, der Gott mächtig Saures gab.
Klar, Purple hatte Creams „I‘m so glad“ aufgenommen, aber das war mit der Mark I-Besetzung und deshalb irgendwie bandhistorisches Pleistozän; und „Sunshine of your love“ war immer harte Währung auf dem Marktplatz der Songs, aber doch eben nur Bluestonleiter. Ja, auch manche Texte – Politician – konnten sich sehen lassen.
War aber alles nichts gegen Purple.
Nimm nur das Mega-Riff von „Black Night“, das ist doch – na gut, Pentatonik. Aber wir sind ja schließlich nicht zum Töne zählen hier. Und wenn ich Textinhalte haben wollte, würde ich Dylan hören. Oder Cohen. Und dann könnte ich ja gleich den Pullunder wieder aus der Sammlung holen, also hör auf, Alter.
Purple war in den 70ern ein Gefühl. Ein Gefühl der eigenen Unantastbarkeit in der ellbogenrempeldichten Enge der Provinz, von Direktheit und Klarheit in einem Nebeldunst von Biederkeit, in dem so ziemlich jede Perversion stattfinden konnte; Blätterteigpasteten, in deren Füllung blass-glibbrige Miniwürstchen in Mehlschwitzsoße dümpelten, und denen man feiertags gnadenlos ausgesetzt war, zum Beispiel. Und da machte es gar nichts, dass sich die Bandmitglieder selbst zofften und die eine oder andere Intrige unter sich laufen hatten.
Für Giganten gelten andere Maßstäbe.
Schade nur, dass ich sie deswegen nicht live hören und sehen konnte, sondern nur einige der Setzlinge nach der Trennung von MkIII.
Rainbow, Whitesnake, Ian Gillan Band, Paice-Ashton-Lord.
Nein, PAL auch nicht. Doch das war wohl auch gut so, wie mir kürzlich die DVD vom Debut-Konzert der Band zeigte.
Und nach 1984? Da war die Zeit einfach weiter gegangen und Purple nur irgendeine Reunion. Das wollte ich nicht sehen.
Schließlich hatte ich ja noch all die Platten. Natürlich dann auch als CDs.
Die auch heute hin und wieder ihre Runden bei mir drehen.
Und Pullunder landen bei mir immer noch in der Altkleidersammlung.
Manches ändert sich eben nicht.

Andreas Bürgel