Humbatätärää

Bennie Wallace & the Blues Ensemble of Biloxi
and The Wings of Sound: Sweeping through the city

Es war in den späten 70er Jahren, als ich auf die namhaftesten Tenorsaxophonisten des Jazz gestoßen wurde. Manni Meine, damals in Hannover selbst ein umtriebiger Saxophonist, machte mich mit den meisten bekannt. Sonny Rollins, Dexter Gordon, Ben Webster, Lester Young und natürlich und allen voran: John Coltrane, von dem ich mir alles kaufte, was ich mir leisten konnte.
Wallace war damals nicht dabei – und auch noch zehn Jahre später hatte ich ihn eher am Rande meines persönlichen Klangspektrums wahrgenommen. So kommt es, dass ich heute zwar ein paar CDs, aber nur eine LP von ihm besitze.
Es ist also durchaus kein kleiner Zufall, dass sich mein Blick neulich an diesem Plattenrücken festsaugte. Kaum hatte ich die Platte aufgelegt, ließ ich alles stehen und liegen um zu hören.
Die Töne trafen von Anfang an genau dort, wo es am meisten vibriert – irgendwo im hinteren Schädelbereich.
Innen.
„Eight page bible“, der Opener, predigte sich unaufhaltsam in meine Wahrnehmung.
Wallace und Ray Anderson an der Posaune werfen ihre „Praise the Lord“s aus. Und das hier ist kein Engelssäuseln, das ist tiefste Unterwolle, da röhrt der Bauch. Und da hier mit Tradition gearbeitet wird, dauert es nicht lange, dass Du THE BLUESLICK hörst.

Welcher Instrumentalist blueste es noch nicht … ?
Und dann spricht Ray. Legt sich ins Zeug. Will seine Sache wirklich mal loswerden. Antwort bekommt der von John Scofield. Sich ein wenig intellektueller gebend beschäftigt ihn doch das nämliche Thema. Nur auf seine typische Art eben. Gibt seinen Senf dazu, extra scharf. Wallace bekommt das Schlusswort. Ganz zu recht. Mit autoritativem Ton bringt er die Bänke dieser Kirche der „8seitigen Bibel“ zum schwingen.
„On Radio 5“ bopped dann eindeutig von dieser Welt. Aber die Dichte, die Intensität die diese Bop/PostBop-Nummer erreicht, findest du nicht an jeder Ecke.
Damit du aber jetzt nicht abhebst, erinnert dich Bennie nach diesem Track, was diese Welt auch ausmacht:
„Trouble and woe“. Die Wings Of Song singen ihren Gospel während Wallace und Mike Richmond am Bass und Tom Whaley an den Drums den Blues jazzen.
Wer sagt, es gäbe Gospel-Jazz, aber keinen Jazz-Gospel? Gut, das ist Gospel für Grenzgänger. Nicht das, was man drüben im Gemeindehaus goutieren würde, vermute ich. Aber – sorry – das hier wirkt auf mich weitaus authentischer, als der Massenchor in seinen Showroben und den wohlkalkulierten Effekten.
„Someone might think we’re dancing“ ist durchdrungen von einem unglaublichen Puls. Da geht pures Leben durch. Und selbst ich – wahrlich kein großer Tänzer – gab einige Hüftschwünge von mir. Im Sitzen, so dass das Glas mit dem Johanniter vom fränkischen Weingut Roth neben mir ein wenig zitterte (ein direkter, ungemein schwingender Wein übrigens, gerade richtig für diesen Titel).
„Refrain“, ein bluesdurchtränkter 6/8tel, macht noch einmal bestens deutlich, wie Wallace völlig auf Basis einer sehr langen Jazztradition stehen kann und dennoch sein Heute, seinen eigenen Zugang zum Universum Musik, mitteilen kann.
„The Bread Man“ unterstreicht dies. Die im Zusammenhang mit Wallace häufiger zitierten Thelonious Monk und Eric Dolphy, prägende Bestandteile der Jazztradition, lugen hier immer mal wieder durch. Infolge des Verzichts auf die Harmonien von Scofields Gitarre bei dieser Nummer, wirkt das Stück durchsichtiger, zugleich abstrakter. Mike Richmond hat am Bass sein einziges Solo der Platte.
„Sweeping through the city“ wartet mit den Gospelklischees auf, die einem sogleich bei diesem Genre einfallen.
Da ist der Doubletime-Part, Wallace gibt den „Preacher“, das beinahe unvermeidliche Tambouringeschwinge ist dabei. Die Wings Of Song singen sich das Herz raus, und da zu einem traditionsgeschwängerten Gospel halt auch ein Klavier geschlagen werden muss, hat Pat Conley hier einen Auftritt. Dass dies Stück dennoch nicht zur Farce gerät, sondern im höchsten Maße glaubhaft und erlebbar bleibt, ist bei dieser großartigen Band eigentlich müßig zu erwähnen. Wer hier wen anfeuert, ist schwer auszumachen. Der Song würde jedenfalls in jedes Erweckungszelt im Bible-Belt passen. Und soweit ich weiß, ist dieses Song-Original von Wallace, der übrigens sämtliche Titel der LP schrieb, mittlerweile durchaus in einigen Gospelrepertoires zu finden.
In meinem persönlichen Jazzplatten-Olymp hat diese Veröffentlichung seinen Platz bislang behaupten können.
Ein Anspieltip bleibt Bennie Wallace mit dem Blues Ensemble of Biloxi für Jazzbegeisterte in jedem Fall.

Andreas Bürgel