Illu AB Pietrek

Kultur.
Bedeutet Ärger.
Was für dich wie eine animierte Kuscheltierhorde auf Methadon aussieht, könnte tatsächlich ein Meilenstein in der Geschichte der Tristan-Inszenierungen sein. Entscheide – doch wehe, du liegst falsch. Und denk nicht, du könntest dich entziehen. Kultur hängt am Leben wie ein Putzerfisch am Haimaul. Nur dass Haie ihre Ausputzer mit ein paar Zuckungen loswerden, während Kultur festpappt wie Fliegen am frisch gebackenen Bienenstich.

Glasweise

Diese Kultur will einfach immer was.
Kann nicht mal nur dasitzen, einen Kaffee trinken, Beine und Dauererwartungshaltung baumeln lassen.
Als ich fünf Jahre alt war, erwartete sie von mir blanke Fingernagelränder, mit zehn ein im Sprachhauptstrom paddelndes Vokabular und mit fünfzehn sowas wie eine Frisur. In Zeiten von «Born to be wild» so gut vorstellbar wie ein inhaltlich einleuchtendes Sportlerinterview im TV.
Also flüchtete ich vor der Kultur – nur um gleich wieder in ihre Fänge zu geraten: Subkultur.
Und die hat auch ihre Erwartungen, frage nicht.
Du kannst der Kultur entkommen wie dem Raclettefuttern bei einer Silvestereinladung. Und da sie networkerisch nicht mit dem Kescher, sondern dem Schleppnetz hantiert und flächendeckend Beifang macht, begegnest du ihr permanent. Was dir bleibt, sind kleine Fluchten.
In den Baumarkt zum Beispiel, das Rückhaltebecken echter Maskulinität, Safe House geretteter Urinstinkte.
Hatte ich gedacht.
Bis ich eines Tages auf der Jagd nach Wandfarbe vor einem Transparent stand:
«Weinkultur in Garten & Freizeit».
Darunter: Aberdutzende Weingläser und Karaffen, die mir zwischen Löwen- und Froschfiguren aus frostfestem Steinguss und mannshohen Terrakotta-Pflanzkübeln zuzwinkerten.
Mittendrin: ein Verkäuferduo.
Rotbeschürzt sie, blaubeschürzt er, ein Fanal kultureller Ordnung.
Blau war sogleich für mich da, fragte, ob ich einen guten Tropfen zu schätzen wisse. Und bevor ich die Sache mit dem Tropfen quantitätsbezogen korrigieren konnte, wartete Rot mit der Information auf, dass perfekter Geschmack alleinig in perfekten Gläsern entsteht.
Da hatte mich die Kultur also wieder ertappt. Hatte gewusst, dass ich die letzten Jahre nur drei, vier Weinglastypen vorhielt. Ich ergab mich, lauschte der Verkaufsfrau:
«…langstielig, schlanker Kelch, unser Glas ‹Amset› modelliert superbe Sauvignons. Und unser ‹Sobek›…»
«Äh, ‹Amset› eigentlich Silvaner», intervenierte ihr Partner zaghaft mit etwas abgetragenem Lächeln.
Doch die Frau steuerte ihre Glasflotte unbeirrt verbal weiter durch die Rebsortenmeere.
Als sie dann bei «‹Heka›, besonders klar im Klang, mit leicht ausgestelltem Rand des eleganten Kelchs ideal für dezent gereiften Riesling» angelangt war, schien etwas im Blauen zu platzen:
«Veltliner, verdammt, das ‹Heka› ist für Veltliner!»
Vokalböller vors Trommelfell, aber die Frau muss mal Eisschwimmerin oder Falschparkerjägerin gewesen sein, jedenfalls war sie größere Härten gewohnt. Lediglich ein «der ißt ja auch an der Pommes-Bude» bildete eine Insel in ihrem fließenden Vortrag.
«Mit gestreckt dünnwandigem Bauch den schlankeren Sangioveses vorbehalten…»
«Einmal! Meine allererste Buden-Currywurst! Und nur, weil es in diesem Muffkaff nichts Gescheiteres gibt», begehrte der Blaumann auf.
«Und mein selbst eingetupperter glutenfreier Quinoa- Salat? Der ist nichts?», schnappte sie nun doch zurück.
«Salat von einer, die aus dem ‹Serapis› Chianti trinken würde? Risiko, meine Liebe. Dann lieber Curryw…»
«Ach ja? Und woraus würde unser Schlachtabfall- Connaisseur Chianti trinken? Aus dem ‹Hathor›?»
«Aber ja. Ins ‹Serapis› läuft ein Blaufränkisch, der…»
«Und aus dem ‹Naunet›» – eine Kopfdrehung an mich: «unser großzügiges Ballonkelchglas mit optimaler Belüftung und Begünstigung eines langanhaltenden Nachhalls» – wieder an ihn: «trinkt so ein Currywicht natürlich Pinot!»
«Unbedingt», das klang verdattert, «du etwa nicht?»
«Oh. Doch, doch. Nur sieht es bei mir nicht so aus, als würde ein maulwundes Schwein seinen Trog…»
Ein schlecht gezieltes Glas zerschellte an einem Riesengartenzwerg.
Besonders klar im Klang – ein «Heka», vermutete ich und ergriff die Chance zu verschwinden, bevor weitere gläserne ägyptische Gottheiten Flugerfahrung machen würden.
Kultur bringt eben nur Ärger.
Ich für meinen Teil war gerade noch einmal davongekommen.
Wenn auch nur vorübergehend.

Andreas Bürgel
Erstveröffentlichung: VINUM, April 2017.
Illustration: Johanna Pietrek