Illu AB Pietrek

Dein Hemd ist vom angesagten Label, dein Handy hat den kultigen Klingelton und die Flasche auf deinem Retro-Nierentisch trägt das richtige Etikett.
Verständlich.
Du willst einfach sichergehen, denn der Zeitgeist ist ein unerbittlicher Türsteher vor dem Club der Akzeptanz. Aber gelegentlich ändert sich selbst die Arbeitsplatzbeschreibung eines Zeitgeistes. Und sein Beuteschema.
Oder es stellt sich schlicht heraus, dass er letztlich doch nur ein Spuk war …

 

Hermachen

»Sind zehn Kilo ein Spanferkel?«, will das Pärchen wissen.
Ausgezeichnete Frage, denke ich etwas weiter hinten in der Kundenschlange. In einer Liga mit: haben sechs Saiten eine Gitarre, zwei Räder ein Fahrrad, hat ein Weißschimmel Brie? Die Annäherung an die Realität ist von allen Seiten möglich. So auch von der anderen Seite der Fleischtheke, doch die dort stehende Verkäuferin zählt Beihilfe zum Erkenntnisgewinn nicht zu ihren Aufgaben: »Ich hol den Chef«.
Der sondiert im Heraneilen: »Spanferkel, die Herrschaften?«
»Sind das zehn Kilo?«, geht es zurück auf null und die Kundin erläutert, dass Pluskilos ihren Ferkelfinanzrahmen sprengen würden; schließlich sei das Schweinekilo dieses Partyservice nicht billig. »Bäuerliche Herkunft, legendäre Kruste, auf den Punkt gegart«, verteidigt der Meister seine Kalkulation, versichert aber, man könne die gewünschte Menge erhalten.
»Also sind zehn Kilo ein Spanferkel«, fordert der Mann Definitives ein. Und es dämmert dem Fleischer, dass Grillgut im Ganzkörperformat gewünscht wird. Er winkt ab: kein Spanferkel im Ganzen. Dafür, dank unterschiedlicher Garzeiten der Partien, Stück für Stück saftige Extraklasse.
»Aber das sind doch dann nur Klumpen«, beschwert sich die Frau. Mit ehemännlicher Unterstützung: »So’n Klumpatsch macht nichts her. Es kommen Gäste.« Doch dann erhellt sich seine Miene: »Meister, Sie setzen die gegarten Teile einfach zusammen. Mit Grillspiessen. Oder Zahnstochern. Kopf dran, Schwanz dran, kein Problem.« Was der Meister anders sieht: »Sehen Sie hier irgendwo ein Schild, auf dem Ikea steht?«, die Silben von einem Crescendo zu einem souveränen Forte-Finale getragen: »Hier gibt’s keine Spanferkelbausätze!« »Würde aber mächtig was hermachen«, stellt die Frau gänzlich unbeeindruckt klar. »Fürs Auge«, der Mann tippt auf seine Tränensäcke. Doch der Fleischer realisiert gerade sein persönliches Rien-ne-va-plus – unverminderte Kommunikationslautstärke und Purpurgesicht lassen daran keinen Zweifel: »Hermachen? Dann bestrahlt die Servierplatte achtfarbig, installiert ’ne Nebelshow und nehmt ein Leopardenfell als Tischdecke!«
Vier Sekunden Ruhe nach dem Verbalsturm. Jeder im Laden wettet auf den Abgang eines pikierten Pärchens. Doch das ist begeistert.
»DAS macht was her!«, freuen sich die beiden. »Zehn Kilo dann bitte. Dieses Wochenende.« »Müssen weiter«, beschliesst die Frau, »Nebelmaschine und Wein besorgen. Muss ja alles stimmen.«
Das Hermachen: aktuelles Sinn-Sonderangebot des Zeitgeistes, sinniere ich. Nicht ablehnbar.
Singeschnösel-Shows, bei denen du vor lauter Kostüm- und Projektionswandgucken keine Chance hast, auf die Musik zu achten (aber wehe, du machst aus Versehen die Augen zu). Kein TV-Wetterbericht ohne Regiestab und klientelzentriertes Intensivconsulting. Und beim Wein muss den Gästen allein schon von den Etiketten schwindeln.
Das Hermachen braucht Inhalte wie Weight-Watchers Zuckerwatte. Zeitgeist – der Geist, der stets vereint. Unbegeisterte raus.
Eigentlich wollte ich dem Erwin ja heute Domaine de Valmengaux einschenken. Ein Off-off-Bordeaux. Noch dazu ein 12er. Etwas hermachen geht definitiv anders. Aber der Stoff ist gut. Brom- und Blaubeere, Quäntchen Nelke, ein sich öffnendes Zigarrenkistlein. Ausbalanciertes Mittelgewicht. Fein, aber durchsetzungsfähig. Mit einem Tannin-Chiffonschal über Sauerkirschen und manierlichem Nachhall.
Wieviel Parker ist eigentlich ein Bordeaux, geht mir noch durch den Kopf, als die Kundin vor mir ihre Bestellung aufgibt und mich aus den Gedanken reisst: »Spanferkel, ohne Lightshow und Lametta, nur gut gemacht.« »Ohne Tanz ums goldene Spanferkel?«, witzelt der Fleischer, was die Kundenschlange mit breitem Lächeln quittiert.
Wer weiss, denke ich, vielleicht spukt dieser Zeitgeist nur noch aus Alterstrotz.
Und auf jeden Fall bekommt der Erwin heute Valmengaux.

Andreas Bürgel
Erstveröffentlichung: VINUM, Mai 2016.
Illustration: Johanna Pietrek